Rezension von Dr. Christoph Mangold

erschienen in http://www.hrr-strafrecht.de Stephan Barton: Einführung in die Strafverteidigung; 413 Seiten; 28,00,-; ISBN 978-3-406-54233-6; Verlag C.H. Beck, München 2007. Wie Gaede bereits in der Juni-Ausgabe dieser Zeitschrift festgestellt hat, ist in jüngster Zeit eine deutliche Zunahme strafrechtlicher Literatur zu verzeichnen, die sich jedoch nahezu ausschließlich an den Strafverteidiger richtet. Diese Entwicklung spricht für eine zunehmende Versachlichung dieses lange zu Unrecht geschmähten Rechtsgebietes und zugleich eine Professionalisierung der strafverteidigenden Anwaltschaft. Dennoch ist die Literatur, von klassischen Studienbüchern einmal abgesehen, vielfach auf den strafrechtlichen Praktiker beschränkt oder richtet sich an den (werdenden) Fachanwalt. Auch die Universität hat das Thema der Strafverteidigung bisher nur in Teilen entdeckt und eine "Lehre der Strafverteidigung" scheint sich noch nicht etabliert zu haben. De facto fehlt insbesondere eine gezielte methodische Vermittlung von strafverteidigungsrelevantem Wissen an Studenten, Referendare und auch junge Anwälte, weswegen sich Stephan Barton auch besonders an diesen Leserkreis wendet. Da auf der anderen Seite die Relevanz strafrechtlicher Fragestellungen in nahezu allen Rechtsgebieten eine deutliche Zunahme verzeichnet, klafft zwischen diesem Ausbildungszustand und den praktischen Erfordernissen eine deutliche Lücke. Diese versucht Stephan Barton mit seinem nun vorgelegten Buch zu schließen. Vorausgeschickt sei, dass dieser Versuch als äußerst gelungen bezeichnet werden darf. Bereits das Vorwort beginnt mit einer Einschränkung, die der Komplexität des Themas geschuldet ist. Bartons Ziel ist nicht die Vermittlung von "Rezeptwissen", sondern eine grundlegende Einführung in die Thematik der Strafverteidigung. Er selbst spricht von einer Lehre der Defensologie. Konsequenterweise beginnt das Buch mit einer Hinführung zur Strafverteidigung (§ 1), die Sinn und Bedeutung dieses Berufsfeldes in anschaulicher Weise darstellt. In der folgenden Beschreibung der mit der Berufsausübung zusammenhängenden Fragen teilt Barton diese in materielle, formelle und praktisch-professionelle Dimensionen auf (§ 2). Hierunter versteht er zunächst die materielle Gegenwehr gegen die Strafverfolgung. Die formelle Dimension stellt für ihn die Vornahme förmlicher prozessualer Handlungen im Verfahren dar, die nur von einem dienstleistenden Berufsexperten (praktisch-professionelle Dimension) vorgenommen werden könne. Dieser Beschreibung schließt sich eine Tätigkeitsdarstellung der Berufsaufgaben des Verteidigers an, die Barton wiederum in Schutz- und Beistandsaufgaben differenziert. In § 3 wendet sich Barton den "Perspektiven der Strafverteidigung" zu. Während hier zunächst auf die im Gegensatz zu Richter und Staatsanwalt differente Sichtweise hingewiesen wird, entwickelt der Autor im Folgenden eine "Philosophie der Verteidigung". Mit den weithin bekannten Zitaten von Alsberg und Jungfer charakterisiert er die Strafverteidigung als "ethische Mission", die zwar vom Glauben an den Rechtsstaat geprägt sei, aber vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung auch eine kühle Skepsis und juristische Rationalität verlange. Barton erarbeitet damit ein ideengeschichtliches Grundgerüst für einen Beruf, der mitunter beträchtlichen öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt ist. Dies tut er freilich nicht ohne zu verkennen, dass dieses im praktischen Alltag einmal gehörig ins Wanken geraten kann. Das Kapitel wird abgerundet von einem beruflichen Leitbild, das Barton in Anlehnung an das berühmte Dahs´sche Zitat als "Kampf für den Rechtsstaat" verstanden haben will. Es orientiert sich insgesamt am Bild eines kompetenten, wissenschaftlich gebildeten und professionellen Verteidigers, der gewissenhaft mit den Mitteln des Gesetzes kämpft und gleichermaßen seinem Mandanten wie dem Recht dient. Dieser Teil des Buches wäre unvollständig ohne auf die Anforderungen hinzuweisen, die der Beruf erfordert. Hierzu zählt Barton neben den rein formellen Anforderungen vor allem ein erhebliches Maß an Frustrationstoleranz, die Fähigkeit zum Umgang mit menschlichem Leid, Mut, Beharrlichkeit und nicht zuletzt die Erlangung von Schlüsselqualifikationen, auf die weiteren Verlauf noch einzugehen sein wird. Auch hier stellt es sich als konsequent dar, wenn darauf hingewiesen wird, dass ein solch hohes Berufsethos in der Realität Schaden nehmen kann. Insgesamt ist vor allem dieser einführende Teil des Buches ein wesentliches Verdienst Bartons, legitimiert es doch den, vor allem in der Öffentlichkeit nicht unumstrittenen, Beruf des Verteidigers in äußerst anschaulicher Weise. Aufgrund der vornehmlich studentischen Zielgruppe ist eine solche Klarstellung notwendig, da sie viele Vorurteile auszuräumen vermag und den Blick über die übliche richterliche oder staatsanwaltschaftliche Sichtweise hinaus öffnet. Im 2. Teil befasst sich der Autor mit dem "Recht der Strafverteidigung". Hierin beschreibt Barton zunächst die rechtlichen Grundlagen (§ 4) und vor allem den Streit um die (Organ-) Stellung des Verteidigers, der letztlich wesentliche Aspekte der Unabhängigkeit und Freiheit des Verteidigers berührt. Die Fronten in dieser Frage sind verhärtet, wobei insbesondere die Rechtsprechung und die überwiegende Literatur von einer Organstellung ausgehen, "gewichtige Stimmen" in der Literatur dies jedoch verneinen. Barton gelangt nach der Darstellung der verschiedenen Meinungen zu dem Ergebnis, dass der praktische Wert der Auseinandersetzung begrenzt ist und die Diskussion vielmehr in großer Nähe zu Fragen der Strafbarkeit des Verteidigers stehe. Diese Tatsache mache dann aber eine ausführliche Auseinandersetzung mit den für die Verteidigung maßgeblichen Rechtsgrundlagen notwendig und dürfe nicht auf die Frage der Stellung als "Organ" beschränkt bleiben. Folgerichtig wendet sich Barton dann den Prozessrechten sowie der Stellung des Verteidigers im Verfahren (§ 5) zu, wobei hier Aspekte des Konsultationsrechts, der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO), der Ausschließung des Verteidigers (§ 138a StPO) im Vordergrund stehen. Nicht unerwähnt bleiben auch die wichtigen Fragen des Akteneinsichtsrechts, sowie die wesentlichen Prozesshandlungen. Schließlich werden in § 6 die Rechtspflichten und Obliegenheiten des Verteidigers behandelt. Barton teilt diesen Abschnitt in zivil-, straf- und berufsrechtliche Rechtspflichten sowie prozessuale Obliegenheiten auf. Insbesondere die lehrreichen und mit ausreichend weiterführender Literatur versehenen Passagen über die zivilrechtliche Haftung und die strafrechtlichen Aspekte der Verteidigertätigkeit dürfen wohl uneingeschränkt auch erfahreneren Rechtsanwälten empfohlenen werden. Aufgrund einer zunehmenden praktischen Relevanz kann jedes übernommene Mandat ohne vertiefte Kenntnisse in diesem Bereich leicht zu einer existenzgefährdenden Angelegenheit werden. Im Bereich der Obliegenheiten wendet sich Barton den Präklusionsvorschriften und prozessualen Mitwirkungspflichten zu, wobei er besonders auf die vom BGH entwickelte Widerspruchslösung eingeht. Deren Missachtung habe zwar keine "unmittelbaren (Rechts-) Folgen", führe aber zum Verlust prozessualer Chancen und unter Umständen zu haftungsrechtlichen Konsequenzen. Im 3. Teil wendet sich Barton der Methodik der Strafverteidigung zu. Von enormer Wichtigkeit ist hier die gleich zu Beginn aufgestellte Forderung Bartons nach einer wissenschaftlich reflektierten Verteidigungsmethodik (§ 7). Der Autor beschreibt anschaulich die differente Herangehensweise an einen Fall im Gegensatz zu einem Strafrichter bzw. Staatsanwalt. Im Vordergrund stehe aber auch hier die Notwendigkeit einer "akademischen" Herangehensweise, die nicht auf eine "charismatische" Verteidigung baut, sondern vielmehr auf methodisch- fundierten Grundlagen basieren muss. Auch wenn für Barton im Strafverfahren noch viel Raum für Phantasie und Kreativität des Verteidigers besteht, entbindet ihn dies nicht von einer professionellen Bearbeitung des Mandats. Auch diese Tatsache ist der Professionalisierung der Strafverteidigung geschuldet. In Anlehnung an die betriebswirtschaftliche Planungstheorie sei für eine methodische Verteidigung zunächst die Ausgangslage zu ermitteln. Als wesentliche Aufgabe folgt hiernach die Bestimmung eines Soll-Zustandes, der Alternativen zu der zu erwartenden gerichtlichen oder staatsanwaltlichen Entscheidung aufzeigen soll. Die Erlangung dieses Ziels ist dann im Rahmen der Verteidigungskonzeption zu definieren, indem die hierfür notwendigen Schritte festgelegt werden. Im weiteren Verlauf des Kapitels geht Barton auf die verschiedenen Bereiche ein und stellt die für den Verteidiger so wichtige Bestandsaufnahme (§ 8) dar, wobei er einen Schwerpunkt auf die dem Verteidiger zugänglichen Informationsquellen, wie Akteneinsicht, den Mandanten selbst und die eigenen Ermittlungen legt. Im Rahmen der Entwicklung von Alternativen (§ 9) werden die wesentlichen Verteidigungsgründe im materiellen und prozessualen Bereich erläutert. Barton versteht hierunter alle Umstände, die geeignet sind, gegen die Anklage ins Feld geführt zu werden oder die zu einer Besserstellung des Beschuldigten führen können. Hilfreich ist auch, dass in diesem Zusammenhang die möglichen "Ausstiegstellen" für das Anbringen dieser Gründe in Form des § 170 Abs. 2 und der §§ 153 ff. StPO nochmals systematisch dargestellt werden. Letztlich befasst sich dieses wichtige Kapitel mit den verschiedenen Instrumenten, also Prozesshandlungen und Realakten, zur Durchsetzung der von ihm entwickelten Alternativen. Einen Schwerpunkt bildet hierbei die oftmals schwierige Frage nach der Einlassung des Mandanten oder dessen Schweigen. Hierzu findet sich, neben der gelungenen Aufbereitung des Problems, eine Übersicht, die in jedem Fall wertvolle Hilfestellungen zu leisten vermag. Wegen seiner Aktualität ist noch auf ein zusätzliches Kapitel über die Rechtsgestaltung (§ 10) hinzuweisen, das mit einem arbeitsstrafrechtlichen Beispiel versehen ist. Hierin geht der Autor auf die Notwendigkeiten einer vertragsgestalterischen oder präventiv- wirkenden Tätigkeit des Verteidigers ein, die aus einem steigenden strafrechtlichen Risiko, insbesondere für Wirtschaftunternehmen, resultiert. Hier wäre zu wünschen gewesen, dass sich Barton dem schwierigen Feld der Vertragsgestaltung unter Vermeidung strafrechtlicher Risiken etwas ausführlicher widmete. Aufgrund des Anstiegs kautelarjuristischer Klausuren wird dieses Feld sicher an Relevanz in der universitären Ausbildung oder dem Referendariat gewinnen. Im 4. Teil befasst sich der Autor mit den "Schlüsselqualifikationen für Strafverteidiger". Anschaulich, ist dieses Gebiet den meisten Studenten oder Referendaren doch fremd, beschreibt Barton die Grundzüge der Kommunikationstheorie und führt in sozialpsychologische Forschungen mit Relevanz zum Strafverfahren ein (§ 12). Die am Ende stehende Forderung, auch der Verteidiger dürfe im Rahmen seines Agierens die anerkannten Perseveranz-, Redundanz-, Aufmerksamkeits- und Schulterschlusseffekte nicht außer Acht lassen, ist uneingeschränkt zu unterstützen, treten diese im Strafverfahren doch allzu häufig auf. Auch wenn die alleinige Kenntnis des Vorhandenseins dieser Probleme, diese nicht zu beheben vermag, hilft es doch bestimmte Verfahrensläufe besser einzuordnen. Im Weiteren finden sich einführende Erläuterungen in die Problemkreise der Gesprächsführung (Mandantengespräch, (§ 13)), die Vernehmungslehre (Zeugenbefragung, (§ 14)) und die Rhetorik (Plädoyer (§15)). Am Ende positiv hervorzuheben ist, dass Barton in Zusammenarbeit mit seinem im Bielefeld ansässigen Lehrstuhl ergänzend vier Fälle im Internet (www.mootcourt.de) anbietet, die "buchbegleitend" gelöst werden können und auf deren Inhalt im Buch Bezug genommen worden ist. Auch wenn sich die Zielrichtung des mit vielen Schautafeln ausgestatteten Buches vorzugsweise an Studenten richtet, wäre dessen Anwendungsbereich damit zu Unrecht verkürzt. Das Werk vermag vielmehr auch jedem im Strafrecht tätigen Rechtsanwalt einen wertvollen Dienst zu leisten. Es kann durchaus helfen, die eigene Tätigkeit dogmatisch zu untermauern und einige wichtige Grundlagen des Berufs für sich selbst wieder neu zu definieren. Dem einführenden Charakter des Buches folgend sind die einzelnen Kapitel kurz und einführend geschrieben, einen weitergehenden Anspruch verfolgt Barton aber auch ausdrücklich nicht. Hier erleichtert zudem der ausführliche Literaturapparat die weitere Einarbeitung in einzelne Gebiete. Im Ergebnis bleibt abzuwarten, ob dieses Werk der Grundstein für die von Barton geforderte akademische Lehre der Defensologie werden wird. Sein Verdienst liegt aber auf jeden Fall darin, dass es der Strafverteidigung zu einer weiteren und langfristigen "Professionalisierung von unten" verhelfen wird. Dr. Christoph Mangold, Rechtsanwalt, Görg Partnerschaft von Rechtsanwälten, cmangold@goerg.de, Frankfurt am Main.
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